Während des Frühstücks an einer sehr netten Wiese geht Namkha ihrer nicht mehr ganze neuen Lieblingsbeschäftigung nach: graben. Sie hat bisher einfach keine Kaninchen gefunden, die Mäuse kommen nie aus ihren Löchern und sie ist ja schwer traumatisiert durch Katzen jeder Nationalität – sie rennt kläffend drauf zu und die Viecher bleiben einfach sitzen. Vollbremsung und abdrehen. So schrecklich! (Die Sozialisierung als Baby mit 5 alten tauben Katzen hat geklappt!)

Wir nähern uns St. Petersburg, die Straßen werden mehrspurig, futuristisch beleuchtet mit ebensolchen Lärmschutzwänden. Wir treffen hier Fahrradfahrer im Training, notdürftig beschützt am Ende durch ein Fahrzeug mit Warnblinkanlage. Die Fußball-WM ist vorbei, von den neuen Stadien haben wir schon einige getroffen. Wir sehen weit voraus so etwas wie einen Stachel in den Himmel weisen. Als wir näher kommen, erkennen wir es als Teil eines Gebäudes. Die Stadtautobahn führt dann in einem eleganten Bogen auf Stelzen bestimmt 2 km übers Meer von einer der großen Inseln, aus denen St. Petersburg besteht, über den Hafen wieder zum Festland, zum Teil zweistöckig. Toll! Wir sehen schicke Wohnviertel, neue Hochhäuser, wie immer mit viel Grünanlagen drum herum. Es herrscht viel Verkehr.

Wir fahren direkt über die Koordinaten, die uns Andy und Brigitte gegeben haben, zum Campingplatz. Der liegt ländlich und ruhig außerhalb Sankt Petersburg, genau 40 km weg vom Zentrum… Keine Bäume, dahinter ein Hügel mit Skilift! Später erklärt uns Michel, der Manager des Campingplatzes, dass wir uns im einzigen Skigebiet südlich St. Petersburg befinden!!! Michael, durchtrainiert, in Camouflageklamotten und sehr scharfem Haarschnitt, spricht exzellent Englisch und sehr gut Deutsch. Er ist sehr höflich und hilfsbereit und zeigt uns den ganzen Campingplatz. Wir sind außer einem verschlossenen Zelt und seinem Wohnmobil die einzigen Gäste. Wir sind etwas enttäuscht, da wir uns ein paar Overlander erhofft hatten. Aber die Waschmaschine wäscht dafür richtig gut.

Die Infrastruktur hier ist gleich null, deshalb fahren wir noch mal in den nächsten kleinen Ort zum shoppen und Geld ziehen. Und dann gehen wir vor Sonnenuntergang auf den einzigen Skihügel südlich von St. Petersburg. Alex schätzt die Höhe auf 100 m. Aber es reicht ja für Skilift, Schneekanone und Aprés-Ski-Bar…. Wir sehen die Lichter von Sankt Petersburg und können aufchden Stachel erkennen. Michael erklärt uns später, dass es sich dabei um ein von Gazprom neu gebautes Businesscenter handelt. Der Turm ist über 400 m hoch.

Am nächsten Morgen lernen wir Lidwien und Maarten aus dem Zelt neben uns kennen. Die beiden sind mit dem Auto von Holland nach Sankt Petersburg gefahren und jetzt wieder auf dem Heimweg. Hinten drauf haben sie zwei alte schwedische Armeefahrräder mit Dreigangschaltung! Lidwien gibt mir den Tipp, das Ticket für die Eremitage vorher im Internet zu bestellen. Der problemloseste Zugang. Mache ich. Sie hilft mehr noch, Maarten erklärt mir, wo ich den Eingang finden. Wir verstehen uns prächtig und wollen abends weiterquatschen.

Heute werden wir beiden uns mit der Minna die Stadt angucken. Es ist heiß und windig.

St. Petersburg – diese 300 Jahre alte Stadt ist für jeden Reisenden ein Traumziel.

Sie hat in ihrer Vergangenheit alles, was man sich vorstellen kann, ertragen müssen.Gebaut in einem riesigem Sumpfgebiet, das damals viele Menschen das Leben kostete. Dazu gehört auch die dreijährige Belagerung, Bombardierung und Aushungerung durch die Wehrmacht mit ungefähr einer Millionen Toten. Es war ein erklärtes Ziel Hitlers, die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Den Leningradern gelang es damals, große Teile der Fabriken und der Schätze aus der Eremitage aus der Stadt zu schaffen. Die einzige Versorgungsmöglichkeit der Stadt war der Weg über den zugefrorenen Lagoda-See. Die Menschen mussten entsetzlich hungern. Trotz der 150.000 Bomben, die auf die Stadt herabfielen, fanden Konzerte und Lesungen statt. Schostakowisch schrieb dort in dieser Zeit seine Leningrader Symphonie, die dort noch während der Belagerung uraufgeführt wurde.

Sankt Petersburg hat überlebt und wurde von den Sowjets direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges als Vorzeigeprojekt in alter Schönheit wieder aufgebaut.

Die Stadt ist unglaublich schön. Wir fahren mit der Minna auf dem Palastplatz und finden direkt vor der Eremitage einen Parkplatz! Der Weg bis hierher über die vielen Brücken von Newa und den kleinen Füßen Fontana und Moyka lassen uns an Venedig oder Berlin denken. St. Petersburg hat 342 davon und fast alle derjenigen über die breite Newa sind Zugbrücken. Von Aprill bis im September, wenn der Fluß eisfrei ist, werden sie über Nacht zu bestimmten Zeiten hochgezogen, um Schiffe durchzulassen. Die vielen Straßen mit den Häuserfassaden des 18. und 19. Jahrhunderts sind herrlich. Wir laufen über und um den Palastplatz herum und staunen nur. Dabei treffen wir auch Putin, als Kaffebecher, T-Shirt, mit oder ohne Sonnenbrille. Er läßt sich halt gut verkaufen…

Wir fahren umher, entdecken eine Fußgängerstraße an einer schönen rotweißen Kirche und gegenüber eines der seltenen Cafes mit Aussenterrasse. Unser! Cafe Botanika. Wir geniessen und gucken.

Spätnachmittags fahren wir zurück. Alex, der sich sich selten beeindrucken lässt, und ich sind begeistert von Sankt Petersburg!

Lidwien und Maarten kommen zurück und wir ziehen uns zusammen bei Heizung und Tee in die Minna zurück.

Es ist warm und windig. Während wir frühstücken und packen, trocknet eben noch die letzte Ladung Wäsche auf der Leine. Wir lassen Michael allein zurück, denn Lidwien und Maarten fahren heute zur estnischen Grenze. Herzlicher Abschied von allen dreien. Wir bleiben mit Maarten und Lidwien in Kontakt!

Für Petersburg-Besucher auf langer Reise ist der Campingplatz zwar weit, aber empfehlenswert. (www.russiancamping.com N 59°697242, E 30°178847)

Wir fahren zielstrebig mit der Minna wieder in die Stadt, erwarten selbstverständlich unseren alten Parkplatz, müssen uns aber mit einem an der Ecke davor zufriedengeben. Tun wir!

Da ich nicht den Anspruch habe, alles zu sehen, habe ich mir einige Räume ausgesucht. Mit diversen Zetteln, Handy, Portemonnaie (was für ein schönes Wort!) und Minna-Schlüssel versehen gehen ich durch den Eingang für Besucher mit e-ticket und stehe 2 Minuten später vor der Treppe in die erste Etage.

Klingt ein bisschen zu klein für dieses riesige Museum. Die Eremitage hat eine Front von 300 m, an die 1000 Räume, zahllose Treppen. Sie besteht aus dem weiß-türkisen Winterpalast, daneben die schmale lange Kleine Eremitage, die sich Katharina die Große bauen ließ (der Winterpalastweihe war ihr einfach zu groß). Daneben gibt es noch eine große und eine kleine Eremitage ein Theater. Das Museum besitzt über 2 Millionen Teile, von denen nur ein Teil in 350 Räumen zu besichtigen ist. Vielleicht kann Aachen sich auch mal wie Vyborg eine kleine Eremitage-Aussenstelle organisieren…

Ich suche die Räume, die sehen möchte und wo ich Bilder oder Stauen suche. Es ist so voll! Ich lasse mich ein bißchen treiben, versuche, den Besuchermassen auszuweichen, erlebe das tolle Gefühl, einen Augenblick in einem kleinen Raum mit italienischen Bildern allein zu sein, drehe mich um mich selber, die Aufpasserin verzieht keine Miene.

Dieses Gemäuer ist so unvorstellbar prunkvoll, gefüllt mit den schönste, ältesten, kostbarsten, berümtesten Gegenständen – eben unvorstellbar. Hier haben Generationen von Zarenfamilien gesammelt. Im 18. Jahrh. kauften die Kunstagenten Katharina der Großen schon ganze Kunstsammlungen auf. Nach der Revolution kam noch alles, was wertvoll war in den Häusern des Adels und des Bürgertums, hinzu. Da kommt was zusammen!

Nach knapp drei Stunden gehe ich, etwas erschlagen, die Augen flimmern mir von dem ganzen Gold. Ich bin beeindruckt und habe es sehr genossen. Ich war in der Eremitage!!!

Alex hat sich derweil mit Namkha vergnügt, unserer Lieblingbeschäftigung Kaffee-trinken-und-Leute-gucken gefrönt. Wir sind jetzt doch alle recht froh, unsere Reise fortzusetzen. Wir fahren noch einmal den Nevsky Prospect hinunter (oder hinauf?), geniessen diese prachtvolle Einkaufsstraße, überqueren noch ein paar Brücken und haben reichlich viel später St. Petersburg hinter uns gelassen.

Wir fahren Richtung estnische Grenze, wollen vorher rechts abbiegen und uns ans Meer stellen, werden aber schon 10 km vorher von der russischen Polizei nicht mehr weiter lassen. Wir drehen um und suchen uns in Kingisepp, dass wir schon passiert hatten, einen schönen Feldweg und stellen uns hinter ein paar Bäumen an ein riesiges abgeändertes Kornfeld. Namkha kann laufen, rennt aber stattdessen zur Straße zurück und hinter den Autos her. Woher kommt das nur? Alex läuft hinterher, sie sucht auf der Wiese daneben inzwischen nach Mäusen. Er kann sie einfangen und bringt sie auf den Schultern, was sie hasst wie die Pest, zurück. Sie kommt an die Laufleine.

Wir schlafen lange und suchen uns später in Kingisepp eine tierärztliche Praxis, um Namkha eine Bandwurmbehandlung verpassen zu lassen, falls der estnische Zoll fragen sollte. Ich frage in einer Apotheke nach, die Apothekerin schreibt mir eine Adresse auf, mit dem Zettel frage ich einen Mann, der vor einem Restaurant mit Außenterrasse steht. Der holt gleich sein Handy raus und zeigt mir dann den Weg zur Praxis. Er kann ein paar Worte Englisch und ist sehr freundlich. Die Praxis liegt so versteckt in einem Wohngebiet, dass ich es kaum glauben kann. Eine ca. 40-jährige Tierärztin, eine junge Helferin mit einigen Englischkenntnissen. Sie verstehen sofort und fragen, wann ich denn die Behandlung im Impfpass datiert haben möchte… Das heutige Datum ist mir recht, ich werde mit Sicherheit die 24 Stunden hier in Russland abwarten. Die Tablette kostet mich 100 Rubel, (1,40€), ich leg noch was drauf für die Kaffeekasse. Die Helferin strahlt.

Wir haben eine Badestelle am Fluss entdeckt. Wir drehen die Minna und ich fange an zu schreiben, Alex sucht mit Namen kam den Weg nach unten. Eine steile Treppe von der Straße aus, der durchaus auch einige Bretter zwischendurch fehlen. Später suchen wir unsere alte Schlafstelle wieder auf. Namkha läuft auf dem Feld herum und kommt dann zurück. Da das so schön geklappt hatte, lasse ich sie spät abends noch mal kurz raus. Und das war’s dann. Sie verschwindet, kommt nicht wieder, ich suche sie an der Straße, geh wieder in die Minna, warte, nichts. Wir lassen die Tür ein Stück auf und gehen ins Bett als Alex nachts aufwacht, ist kein Hunde da. Am nächsten Morgen in der Früh sieht Alex Namkha weiter weg auf dem Feld, geht auf 100 m an sie ran, und dann kommt sie endlich. Ich entdecke, dass sie verklebte Augen hat, eine richtig schöne Bindehautentzündung. Also fahren wir nach dem Frühstück wieder zur Praxis. Es ist Samstag, kein Problem. Vier Patienten sind vor uns dran, schließlich schaut sich die Tierärztin die Augen an, wir bekommen ein Rezept für Antibiotika und Cortisontropfen. 5 €. Antibiotika ist erhältlich,wir die Kortisontropfen finde ich in zwei Apotheken nicht. Zurück in die Praxis, neues Medikament, kriegen wir, aber wie ist die Dosierung? Wieder in die Praxis – das dritte Mal. Als auch das hinter uns haben, gönnen wir uns in der Außenterrasse einen Kaffee. Ein Mann mit Schürze kommt aus dem Lokal und fragt ob wir aus Aachen kommen! Er war letzte Woche erst da, auf eine Rundreise durch Belgien, Holland, Luxemburg und eben Deutschland. Sehr lustig! Wir stellen fest, dass das ganze Lokal im englischen Stil eingerichtet ist. Karierte Kacheln auf dem Klo! Dann geht’s mit dem Blog weiter. Wir bekommen Besuch von ein paar Pferden, die wohl irgendwo ausgerissen sind und wollen eigentlich abends gegenüber in dem Blockhauslokal mit rauchenden Grill unser Russland-Abschiedsessen feiern. Da ich aber niemanden entdecke und keine Speisekarte sehen, beschließen wir, den Abend im englischen Stil zu verbringen.

Wir treffen den Mann mit der Schürze wieder, der im übrigen der Chef ist und das Lokal mit seinem Kompagnon seit sieben Jahren führt. Wir kriegen natürliche noch einen Tisch im gut gefüllten Lokal. Der Mann, der mir den Weg gezeigt hatte, stellt sich als Kompagnon heraus und begrüßt uns auch noch. Das Lokal ist außerordentlich geschmackvoll eingerichtet . Wir befinden wohl im Jagdzimmer nebst dazugehöriger Armbrust, Schießpulverbeutel und jede Menge Bilder von toten Tieren. Eine englischeTelefonzelle, eine Theke wie in einem englischen Pub. Wir essen richtig gut. Aperol mit Cider! Gut! Mein erster Gang ist frisch in Salz eingelegter Lachs mit Smetana. Alex isst mal wieder Fleisch. So lecker! Vom Haus als Nachtisch noch zwei dicke Trüffelpralinen. Wir verabschieden uns von den beiden Männern und fahren mit Namkha heim.

Am nächsten Morgen – es ist Sonntag – kaufen wir noch etwas ein und trinken noch einen Kaffee auf der Aussenterrasse. Der Chef begrüßt uns, mein Wegweiser kommt dazu und beginnt von seinem Hobby zu erzählen. Er sammelt ganz besondere Antiquitäten: 100 Jahre alte Louis-Vitton-Schrankkoffer. Er hat ein ganzes Zimmer davon vollstehen, dazu noch englische Marine-Antiquitäten inklusive der dazugehörigen Uniform. Noch ein paar Bilder…. Na ja… Er heißt Slawa, sein Kumpel Andrej und das Lokal The Collection.

Es liegt an der Hauptstraße in Kingisepp, bei der Fahrt zur Grenze empfiehlt sich unbedingt ein Besuch.

Wir fahren nach Ivanogrod, tanken noch mal, der Diesel ist in Estland ca. 0,70 € teurer. Alex entdeckt einen Kamaz mit Refendruckregulierungsanlage vom Führerhaus aus für unterschiedliche Untergründe (beachtet die Felge!).  Und dann reihen wir uns in der Stadt in die Schlange zur Grenze ein. Es regnet, es dauert. Schließlich können die PKWs, wir auch, an den LKWs vorbei fahren. Als wir mal wieder warten, entdecken wir auf dem Nummernschildrahmen des estnischen Autos vor uns den Namen eines Autohändlers aus Würselen! Die Welt ist doch so klein!

Irgendwann ist es soweit, Russland liegt hinter uns. Wir haben nach unserem Tacho rund 5350 km zurückgelegt, Wüste, Steppe, Kamele, Wolga, Seen, Wälder, Kirchen, Klöster, alte Dörfer, schöne Städte gesehen, interessante Menschen getroffen, unsere Meinung bestätigt gesehen, dass die Russen überwiegend muffelig sind, aber von einer riesengroßen Hilfsbereitschaft! Es hat uns richtig gut hier gefallen.