Dass wir nach Wolgograd fahren würden, war für uns völlig klar.

Hier hatte die 6. Armee unter General Paulus zuerst die damals Stalingrad genannt Stadt ab Sommer 1942 belagert, schließlich erobert und dabei fast völlig zerstört. Nachdem es der Wehrmacht nicht gelungen war, Moskau und Leningrad einzunehmen, wollte Hitler unbedingt Stalingrad und damit den Zugang zu den Ölfeldern zwischen Ural und kaspischem Meer erobern. Als die sowjetische Armee im November 1942 die deutsche Armee in Stalingrad einkesselte, gab Hitler die Durchhalteparole aus. In einem endlosen Häuserkampf in Eis und Schnee wurden die Deutschen vernichtend geschlagen und kapitulierten im Februar 1943. Das führte zur Wende in Hitlers Eroberungswahnsinn. Eine letzte große Panzerschlacht verlor die deutsche Wehrmacht kurz danach. Von da an war sie auf dem Rückzug. 200.000 deutsche Soldaten starben in Stalingrad, 120.000 gerieten in Gefangenschaft, aus der die letzten 6000 Überlebende erst bis 1955 nach Hause zurückkehrten. Auf sowjetischer Seite starben 250.000 Soldaten und wohl 300.000 Zivilisten.

Als wir abends in Rossoschka, dem Militärischen Friedhofsfeld, von Stalingrad eintreffen, haben wir einen gigantischen Friedhof mit beeindruckenden Denkmälern erwartet. Die Fahrt dorthin ist auf russisch und englisch deutlich ausgewiesen und eine gute Straße führt dorthin. Wir sehen vor dem Dorf Rossoschka rechts und links unauffällige Friedhöfe und fahren erwartungsvoll weiter, bis uns im Dorfladen gesagt wird, dass wir zum großen Militärfriedhof von Rossoschka zurückfahren müssten.

Wir drehen und finden bei einem der Friedhöfe ein kleines Gebäude mit ein paar parkenden Autos davor, einige bunte Zelte nahe bei. Ein paar Jugendliche kommen auf uns zu. Kyrill, Iwan und Kir (?), die dort arbeiten. Kein Englisch. Yes, Soldateska hier. Sleeping no problem.

Ein erster Gang im verschwindenden Licht. Einige Skulpturen aus Gewehr- und Granatenteilen. Ein offenes Törchen im Zaun. Der russische Friedhof. Einige Bäume an der Seite, davor ein mit einem Kranz voller bunter Plastikblumen geschmücktes Grab eines älteren Gefallenen. Ein Offizier? Dann kleine Gräber. 40×60 cm große Steinplatten dahinter ein einfacher Grabstein, auf dem ein Helm liegt, kyrillisch beschriftet, manche mit Löchern. Die Daten sind klar zu erkennen. Viele sehr junge Männer, von 18 Jahre an, liegen hier. Hundert Gräber?

Am nächsten Morgen kommen wir wieder. Im Zentrum die große Skulptur eines nach vorn gebeugten Menschen, der in seinen nach hinten oben gestreckten Armen eine Glocke hochhebt. Weiter hinten liegen Gräber noch ohne Platte, und ohne Helm. Erdarbeiten sind zu erkennen. Das eingezäunte Areal ist bei weitem noch nicht voll.

Auf der anderen Seite liegt der deutsche Friedhof. Ein großes rundes Areal, in Granitplatten eingefasst, auf denen alphabetisch aufgereiht die Namen und Geburtsdaten der deutschen Soldaten stehen. Daneben unter Bäumen unregelmäßig aufgestellte 1 m³ große Granitwürfel, ebenfalls mit alphabetisch aufgeführten Namen und Daten. Ein großes Denkmal mit einem russisch-orthodoxen und einem christlichen Kreuz. Wir gehen weiter und finden die Gedenkplakette des Bundes ehemaliger Stalingrad Kämpfer für die gefallenen deutschen und russischen Soldaten. Eine Säule mit deutscher Inschrift zum Gedenken an die Bewohner der Dörfer Klein- und Groß-Rossoschka, die während der Kämpfe von 1941-45 Ballen sind, Noch ein kleiner Friedhof rumänischer Soldaten.

Im kleinen Museum schauen wir uns die Funde aus den Schlachtfeldern an.

Welch ein Wahnsinn! Und immer noch werden Tote geborgen, die in Rossoschka beigesetzt werden. Wie kann man die Trauer für so viele Tote angemessen darstellen? Diese Gedenkstätten mit den unzählige Namen und den vollendeten Bestattungsfeldern berühren sehr.

Wir fahren wieder nach Wolgograd. Die Stadt zieht sich mindestens 50 km am rechten Ufer der Wolga entlang. Nach dem Krieg musste sie vollständig neu erbaut werden und Stalins Architekten konnten sich austoben. Uns zieht es zur weit über die Stadt hinaus sichtbaren riesigen Statue Mutter Heimat – Mamaev Kurgan. Sie steht auf dem Hügel, der im Kampf um Stalingrad 02 hieß. Der Hügel ist ein sehr gut besuchtes Freizeitareal mit vielen Denkmälern, Ruinenfeldern und Gedenkstätten zum großen patriotischen Krieg. In einem Pantheon sind die Namen von 7200 russischen Soldaten eingraviert. Die große Statue wird auch als „die Heimat ruft“ benannt. Sie ist 72 m hoch, das Schwert allein 12m. Von hier aus hat man einen schönen Blick über die Wolga. Unterwegs steht unser Rauszieher-LKW aus der Mongolei!

Es geht wieder weiter nach Nordwesten RichtungTambov. Die Straße ist von riesigen Sonnenblumenfeldern eingerahmt. Unterwegs bezieht sich der Himmel. Wir halten an einem kleinen Café, wollen einen Kaffee trinken ein und werden von Mutter und Tochter zu Borschtsch-Suppe und den üblichen Frikadellen mit Kartoffelbrei und Salat überredet. Alles sehr lecker, der Kaffee kommt auch noch. Es fängt an zu regnen, wir schaffen es gerade noch in die Minna, dann geht ein fürchterliches Gewitter auf uns runter. Wir ergänzen das Ganze durch eine wunderbare Dusche, beziehen uns die Betten neu, klettern hinein und lesen. Wie gemütlich. Findet Namkha auch.

Der nächste Tag ist Regen getränkt, alles wirkt deutlich grauer. Ein Reiter in Regenmontur hütet seine Rinder. Wir fahren nur. Die Strecken von einem bekannten Ort zum anderen hier in Russland können durchaus mehrere 100 km bedeuten.

In einem Blockhaus- Kaffee machen wir Pause auf der Terrasse, ein paar Russen, deren dicke SUV mit Motorbooten davor parken, ebenfalls. Eine Frau mit Unterarmhündchen begeistert sich für Namkha. Der kleine Rüde darf nicht mal auf dem Boden zum beschnuppern.

Riesige Felder, Getreide und Sonnenblumen, die breiten Streifen rechts und links der Straße, bevor die Birken beginnen, ebenfalls voller Blumen, durch die Bäume dahinter schimmert es ebenfalls gelb.

Wir biegen Richtung Jelets ab und überqueren dabei den Don!

Am nächsten Morgen wollen wir die große Auferstehungskathedrale in Jelets besichtigen. Die Stadt wurde 1146 als Befestigung gegen türkische Eindringlinge gegründet aber danach oft und gerne von den Mongolen immer wieder plattgemacht im Mittelalter. Heute hat sie unglaublich viele Kirchen in unterschiedlichsten Erhaltungszustand und viele hübsche alte Häuser. Die Kirche ist mit 74 m eine der größten in Russland. Vor der Kirche sitzen einige Bettler. Der vordere Raum der Kirche ist mit goldgerahmten Ikonen überladen, etwas viel für mich. Der dahinter liegender Hauptraum beeindruckt mich durch seine unglaubliche Höhe und die bis an die Decke reichenden schönen Fresken.

Weiter geht’s Richtung Tula. Die letzten 120 km vor der Stadt ist die Straße vierspurig ausgebaut und wir treffen nun alle 20-30 km auf eine Mautstation. Dafür sehen wir neben der Straße an der lang gezogenen Böschung einen Mann, der mit einem Freischneider den schon recht kurzen Rasen noch weiter kürzt. Eine Sysiphus-Aufgabe! Mit anderen Worten – eine besonders sinnlose Aufgabe!

Tula hat eine lange Industrie Vergangenheit, dazu einen großen gut erhaltenen Kremel und ein paar schöne Kirchen. Das Wichtigste an der Stadt ist jedoch der Landsitz von Leo Tolstaoi, Yasnaya Polyana, auf dem der große Schriftsteller fast sein ganzes Leben verbrachte. Beim Durchkreuzen der Stadt fahren wir über wie meistens ziemlich holprigen Straßenbahnschienen. An einer Stelle sehen wir den Flicken einer Schiene mit einem Flacheisen. Der Höhepunkt kommt jedoch, als die schicke Schaffnerin einer Straßenbahn aussteigt, um mit einer Handkurbel die Weiche umzulegen! Beim Verlassen treffen wir noch ein markantes 45er Denkmal.

Die Adresse von Yasnaya Polyana bringt uns nicht weiter, wir geben Koordinaten aus dem Internet ins Navi ein und starten. Und werden in die absolute Pampa geführt! Der Schotterweg wird so winzig geworden, dass wir irgendwann an einer Weide, auf der eine alte Frau ihre Schafe hütet, zum Stehen kommen. Ich steige aus, sie kommt, durch zwei Stücke gestützt, auf mich zu, freundlicherweise! Sie scheint wirklich sehr alt zu sein und lacht sich fast tot, als sie versteht wo wir hin wollen. Wir sind sowas von falsch! Also drehen und zurück nach Tula auf der alten Spur und von daraus das Ganze noch mal starten. Tun wir, finden zurück in die Zivilisation und an einer geschlossenen Tankstelle finde ich einen Mann, der nicht nur ein paar Worte Englisch kann, sondern mir auf seinem Handy auch dien Weg nach Yasnaya Polyana zeigt. Wir schaffen es dann tatsächlich dorthin, es waren nur 14 Kilometer vom Zentrum entfernt…

Der Parkplatz vor dem Parkeingang ist leer, die Händler packen zusammen und wir beschließen, uns hier niederzulassen.

Am nächsten Morgen gehen wir zu dritt Richtung Parktor. Alex muss Namkha zurückbringen, Hunde verboten. Dafür treffen wir dann einen netten Straßenhund, der uns unbekümmert hinein begleitet. Das Landhaus wurde Tolstois Urgroßvater von Katharina der Großen für seine Verdienste geschenkt. Der jüngste Sohn der Familie hatte seitdem immer dieses Landhaus geerbt. Da alles, vom Ticket-Office über Hinweisschilder zum Haus bis zu den Beschreibungen in Russisch gehalten ist, laufen wir erst ein bisschen durcheinander, geraten in das hübsche Verwaltungsgebäude, kommen ins Kuzminsky-Haus mit einer kuriosen Sammlung von Tolstois angeblichen Inspirationen von 1851-1869, während er „Krieg und Frieden“ beendete. Schließlich kommen wir an dem bescheidenen Haupthaus mit einem schönen Garten drum herum an. Von mehreren Damen werden wir wie schon vorher in Überschuhen durch das Haus gereicht. Alle recht angestrengt, eher nicht freundlich, uns von jedem Zimmer zum nächsten eine englische Beschreibung reichend. So geht’s auch. In dem großen hellen Esszimmer mit der langen Tafel fallen mir die vielen Thonet-Stühlen und Bänken auf. Gemälde der Familie und ihrer Vorfahren an den Wänden, dazu ein Konzertflügel und ein weiterer kleiner. Es muss ein reger Haushalt mit vielen Gästen und viel Hausmusik gewesen sein. Das Schlaf- und Arbeitszimmer von Tolstoi, das Nähezimmer seiner Frau, die Bibliothek, eine Presse, um Briefe zu kopieren. Nach Tolstois Tod fand sich eine Sammlung von über 50.000 Briefen, darunter etliche mit Mahatma Gandhi, der sich durch Tolstois Buch „Das Königreich Gottes wohnt in dir“ zu seinem kampflosen Widerstand inspiriert fühlte. Genauso wie Martin Luther King.

Eine beeindruckende Persönlichkeit – ich muss ihn mal wieder rauskramen – und ein schöner Spaziergang. Namkha freut sich sehr, als wir zurückkommen.

Auf der Weiterfahrt suchen wir in Tula ein Geschäft für Computerzubehör. Mein Laptop-Ladegerät hat den Geist aufgegeben. Im ersten super Supermarkt werden wir fündig, nur die Ladegeräte laden nicht. Wir werden weiter verwiesen, finden die Hausnummer nicht, und ich gerate per Zufall durch Fragen in ein Hinterhof-Kellergeschäft, dass mir helfen kann. Ich bin sehr glücklich!

Wir kommen noch mal am großen Zentralplatz mit der riesigen Lenin-Statue vorbei und dann geht es 300 km am äußeren Ring von Moskau vorbei Richtung Suzdal, der kleinen aber schönsten Stadt (für uns) am Goldenen Ring. Durch kleine Orte mit Straßenverkauf, keine Sonnenblumenfelder mehr. Frauen mit Schüsseln voll Obst an der Straße. Alex entdeckt Pilze – Pfifferlinge! Wir bremsen nicht sofort und schlagen zu, schon ist der Wald vorbei und Nix ist mehr mit abendlichem Pilzomlett!

Recht spät fahren wir zum nach mit täglichen Tee von der Straße runter und landen schließlich in einer Wiese, umgeben von Autobahn, Eisenbahn, Industriegebiet und einer riesigen Fläche von 40 cm hohem blühenden Gras. Namkha rast sofort los. Wir beschließen hier zu bleiben und entspannen alle drei. Ein schöner Abend!

Am nächsten Tag begegnen wir einem Lada/Fiat 124, der bis Oberkante und Vorderbank mit Wassermelonen gefüllt ist. Die arme Karre hängt richtig in den Knien. Zwischen den Melonen sorgfältig Pappdeckel gesteckt, damit sie keine Druckstellen bekommen. Alex schätzt die Last mal auf 700 Kilo.

Am späten Nachmittag erreichen wir Suzdal und quartieren uns auf dem Campingplatz ein.

Es ist Freitag und hier ist nichts los. Wir machen Hausputz, genießen Dusche und Waschmaschine und gehen mit Namkha zum Schwimmen im Fluß, der sich in großen Schleifen durch den Ort windet. Samstag wird es voll, es beginnt eine große Grillparty, eine Geburtstagsveranstaltung? In den Veranstaltungsgebäuden hinter dem Campingplatz findet eine gigantomane Edeihochzeit statt, die Gesellschaft grillt abends noch am Flussufer. Wir fahren am späten Nachmittag mit den Fahrrädern über kleine Wege am Fluss entlang in den Ort. Schönes Licht! Auf dem Marktplatz räumen die Händler auf. An einem Stand mit Allerlei entdeckt Alex Putin mit Sonnenbrille.

Wir waren auf unserer großen Reise 2015 schon einmal hier und genießen die Schönheit des Ortes nun vorbehaltlos. Kleiner Einkauf im versteckten Supermarkt an der Hauptstraße – u.a. 1 l Kwas. Am nächsten Morgen sitze ich noch am Fluss, neben an räumt ein junger Mann den Grillplatz unter dem Bäumen auf. Wir kommen ins Gespräch. Er ist der Bräutigam, junger Rechtsanwalt aus Moskau, spricht perfekt Englisch, war schon in Aachen und liebt besonders Amsterdam. Wir unterhalten uns prima. Später stößt ein großes Wohnmobil dazu, aus Italien! Sie richten ihre Fernsehschüssel aus und ich denke schon Na ja.. Irrtum! Später kommen sie auf unsere Minna zu, und es stellt sich heraus, dass sie seit Ende der sechziger Jahre unterwegs sind, schon dreimal im Iran waren, zu Schahs und Khomeinis Zeiten und danach. China, Seidenstraße, Indien – überall schon gewesen. Ihr Auto ist 28 Jahre alt. So kann man sich irren!

Später gehen wir Richtung Musik, die von einer aufgestellten Bühne herschallt. Vorher erleben wir noch das Fest der Grillparty in dem kleinen Garten. Musiker in blauen Russenkitteln bringen die romantische russische Seele zum Träumen. Die Frauen in langen Kleidern tanzen mit den Kindern – die Männer haben wahrscheinlich zu viel Wodka drin. Drumherum fährt eine kleine Kutsche, einige Frauen tragen Kronen ähnliche Kopfbedeckungen. Alles wunderschön!

Auf der Bühne machen ein paar Jungs in Camouflage-Kleidung richtig gute Musik, die Zuschauer ab Mitte 20-40, Umhängeschilder und rote Halsbänder, singen mit und tanzen. Später stehen sie alle im Kreis und werfen sich gegenseitig bunte Wollknäuel zu. Das gibt ein riesiges buntes Geflecht. Den Sinn haben wir nicht ganz kapiert.

Später abends fahren wir mit dem Moppi zu einem sehr schönen Restaurant in den Handelsarkaden am Marktplatz. Es liegt versteckt hinter einem Antiquitätengeschäft, mit Blick auf den Kreml. Wir speisen angemessen fürstlich. Von unserem Balkonplatz aus sehen wir, dass das gegenüberliegende alte Haus kein Dachrinnen hat, sonder das Regenwasser durch Querleisten an den Dachrand geleitet wird, wo es entweder den Fußgängern auf den Kopf läuft oder doch durch Fallrohre aufgefangen werden. Interessant und sparsam! Danach eine schöne Besichtigungsfahrt von schönen Kirchen und alten Häusern und im Halbdunkeln wieder nach Hause. Ich schicke noch Blogs raus, das Internet ist herausragend. Ein schöner Tag!

Und jetzt geht’s endlich weiter!