Um den Rigaer Meerbusen. Diese Vorstellung!

Unser Ziel ist die Kapspitze bei Kolka.Wir fahren mit der Minna durch Jurmalla, die baltische Riviera. 32 km lang mit 14 Gemeinden und in der Mitte irgendwo ein Zentrum. Schöne und verfallene alte und neue Holzhäuser, edelste Neubauten, alles Fichten umgeben, sowjetische Betonsünden. Eine kleine Poststation und Einkaufsläden. Es ist nicht ganz so viel los. Wir finden zwischen edlen Wohnanlagen – hier tobt die russische neureiche Oberliga rum – einen kleinen Strandzugang, als erstes fällt uns das Hunde-verboten-Schild auf. Wir drehen ab und entdecken dafür beim Weiterfahren zwei junge Anhalter mit Rucksack. Die nehmen wir mal mit. Célia aus Mons und Adrien aus Waterloo, quasi bei uns in Aachen um die Ecke und gerade in Riga gelandet. Sie wollen sich drei Wochen lang das Baltikum angucken. Eigentlich fragen sie nach Jurmala-Zentrum. Aber ein bisschen die Küste hoch ist auch gut. Sie studieren Tourismus, haben daher natürlich ein gutes Auge für das Potenzial des Landes und dass ist schon ziemlich gut entwickelt! Wir unterhalten uns prächtig.

Unterwegs an der Straße durch den Wald bieten ein paar Leute an, was sie aus Wald und Garten mitgebracht haben. Ich kaufe für 10 € einen mittleren Korb Steinpilze und für einen weiteren Euro acht kleine Gurken. Trüffeln kennen die beiden, aber weder Steinpilze noch Pfifferlinge.

Hinter Plienciems führt die Straße durch den Wald dicht am Meer entlang. Wir suchen einen Übernachtungsplatz. Die jungen ziehen mit Rucksäcken Richtung Strand und bauen ihr Zelt auf, die alten stehen an der Straße und ich koche was mit Steinpilzen und kleinen Tomaten. Adrien kommt und lädt uns zum Lagerfeuer ein und wir ziehen mit Kochtopf und Stühlen rüber. Da man einen Rucksack ja schleppen muss, ist das Gewicht sehr zu beachten. Zwei Plastikgabeln, keine Teller, zum Draufsitzen gehen die Pappschilder vom Trampen. Das ist Essen ist lecker, der Abend sehr gemütlich, sehr romantisch. Dann geht noch ein großer orangfarbener Vollmond über dem Meer auf. Schön!

Frühstück zusammen in der warmen Minna. Célia und Adrien sind Vegetarier. Käse haben wir ja genug… Der Wind jagt die Wolken am Himmel, zwischendurch scheint die Sonne. Wir fahren über Land nach Telsi, dem Verkehrsknotenpunkt für alle, die mit dem Bus nach Riga wollen. Weite Felder, graue Holzscheunen, kleine Orte mit neuen Steinhäusern und alten aus Holz, die manchmal renoviert werden.

Am Cap Kolka treffen die Wasser von Ostsee und Rigaer Meerbusen aufeinander, in der Verbindung mit guten Wind ziemlich heftig. Der obere Teil dieser Gegend war früher sowjetisches Sperrgebiet und ist daher recht dünn besiedelt. Umso schöner. Wir hören das Meer schon von weitem. Über die sandigen Wege gehen wir durch den Wald, bis wir es endlich sehen. Weit draußen – 6 km – auf einer kleinen künstlichen Insel steht der rote Leuchtturm von Kolka, der 1884 gebaut wurde. Hier gab es schon Jahrhunderte zuvor Leuchtfeuer, die die Schiffe von den Riffen der Küste fern halten sollten. Der Strand ist bedeckt mit grauen, vom Meerwasser gebleichten Baumstämmen. 2005 hat hier ein fürchterlicher Sturm getobt, der viele Bäume der Küste umlegte. Es sieht hier immer noch ungeheuer beeindruckend aus.

Alex findet eine verdrehte Fichte und wir beschließen spontan, noch ein bisschen weiter zusammen die Kurzeme-Küste hinunter zu fahren. Hier in dieser Gegend leben einige der letzten Liven, Angehörige eines finno-ugrischen Fischervolkes, das vor 5000 Jahren ins nördliche Lettland eingewandert ist. Viele Letten stammen von ihnen ab, aber nur noch ca. 200 von ihnen leben hier in 14 Fischerdörfern. Die wenigen Liven in Ungarn, Finnland und Estland betrachten diese Küste als ihre Heimat. Im Sommer gibt es hier ein großes livisches Fest. Nur noch wenige Menschen sprechen noch die livische Sprache. Sie wird wohl verschwinden.

Es ist Teezeit, wir biegen von der Straße ab, fahren über Sandwege, und entdecken einen kleinen Fluss. Célia und Adrien kommen mit einem großen Pils zurück, die Stelle will ich sehen – ein Kuhpilz? Namkha haut ab, wir verteilen uns rufend. Es dauert, plötzlich steht sie neben uns. Adrien hat noch einen Skype-Termin, da er sich für eine Praktikumsstelle in Honduras beworben hat. Wir brauchen Wlan, also zurück. Vorher schauen wir uns noch die Radioteleskopschüssel an, die wir die ganze Zeit über den Gipfeln der Bäume gesehen haben. Hier hatten die Sowjets während des kalten Krieges ihre Satellitenbespitzelungsbasis, mit der sie ganz Europa und auch mehr abhören konnten. Als sie abzogen, mussten sie diese Radioteleskopschlüssel, die 20 m Durchmesser hat und 600 t wiegt, zurücklassen. Sie war zu schwer. Zwei konnten sie mitnehmen. Diese Schmach, zu vielen anderen! Zwischen den Bäumen sehen wir noch einige verlassene Wohnblocks. Die geheime Anlage war weiträumig geschützt, die Besatzung kam aus entfernten sowjetischen Republiken.

Am späten Nachmittag erreichen wir Ventsplis. Als erstes fallen uns bunte Kühe auf, in den Parks, auf einer Kreuzung. Die jungen gehen in die Altstadt und haben Spaß, wir gehen später in die andere Richtung und geraten in ein altes Holzhausviertel. Namkha zieht wie verrückt an der Leine auf eine Katze zu, die entspannt vor einem Tor setzt. Alex geht ebenso entspannt mit,Als Namkha ihr näher kommt, macht die Katze einen imposanten Buckel, unser Hündchen bremst und schaut souverän an ihr vorbei! Die Katze bleibt sitzen…

Später fahren wir an den Hafen, wir werden bekocht! Am Kai entdecken wir die Kuh auf Reisen. Ein Kunstprojekt seit 20 Jahren. Kühe sind auf der ganzen Welt bekannt. Es wird ein Entwurf ausgeschrieben, Künstler bewerben sich, die jeweiligen Gewinner stellen ihre Ergebnisse in ein Städten der Welt aus. Ventspils war schon zweimal dabei. Klasse Idee! Es gibt Pasta mit Gemüse und allem, was die Gewürzkiste hergibt. Deliziös!

Die Fähre aus Stockholm läuft ein, dreht, entlädt sich. Kurze Zeit später kommt eine „kleine“ rote Minna (das Vormodell vom Sprinter – unserer doch ähnlich) zu uns. Frank aus Berlin hat uns von der Fähre ausgesehen und schaut mal vorbei. Sehr nett! Da wir mit dem reden gar nicht mehr aufhören können, wollen wir zusammen an den Strand. Er gibt uns die Koordinaten von einem seiner geheimen Küstenstellplätze. Toll! Er fährt los, wir dann auch, treffen noch ein paar bunte Kühe. Unterwegs packen wir noch zwei verzweifelt winkende junge Leute ins Auto, die nur aus der Stadt raus wollen. Sie sitzen mit ihrem Gepäck auf dem Kamelleppich und dem Wasserkasten und das Jngvolk tauscht sich – natürlich im perfekten Englisch – sofort intensiv miteinander aus. Sie ist aus der Schweiz, er aus Deutschland und verliebt haben sie sich in Heidelberg! An der großen Überlandstraße steigen sie wieder aus.

Unsere Koordinaten zeigen keinen Stellplatz am Wasser! Frank ist plötzlich neben uns, fährt neben uns her. Ganz zuletzt durch immer kleinere Wege und Sand landen wir am Meer. Dort steht noch ein Schläfer Pick-up, alles dunkel. Wir gehen ans Wasser. Licht, Luft, Weite, Sonneneuntergang – einfach so schön! Frank, der Outdoor-Mensch, holt seine Axt und sein schwedisches trockenes Holz aus dem Auto und schlägt im Schein der untergehenden Sonne die Holzscheite fürs Lagerfeuer. Wow! Die versammelten Bierdosen reichen bis 1:00 Uhr nachts.

Heute ist es richtig warm, wir gehen schwimmen! Und ich muss sagen, wir alten waren am weitesten und längsten draußen! Es ist nicht tief, Namkha kommt hinterher, geht über die Wellen, manchmal auch durch. Sie schwimmt einen Kreis um uns und dann doch zurück. Ganz in der Nähe mündet ein Fluß, wir können gleich Morgenwäsche machen.

Als wir aufwachen, ist auch der Pick-up-Mensch draußen. Ulrike aus Gütersloh, verschlagen in die württembergische Diaspora mit Frieda, der hungrigen Labradorhündin. Westfalen sind einfach eine reiselustiges Völkchen!!! Sie hatte sechs Wochen für das Baltikum, sieht noch richtig sonnen- und strandgelebt aus und ist nun auf dem Heimweg. Wir werfen alles zusammen was wir an Vorräten haben und frühstücken in der Picknicklaube unter den Heidekraut-Sträußen.

Frank, der Elektroingenieur, liebt als Gegensatz zu seinem Beruf das einsame archaische Outdoorleben. Mit Rennrad, Enduro, Kanu, Axt und Holz in und auf der kleinen Minna ist er für dieses Leben perfekt gerüstet! Dieser Stellplatztip aus seiner Sammlung selbsterfahrener geheimer perfekter Stellplätze überall, den er mit uns geteilt hat, ist großartig. Ich werde ihn nie vergessen!

Er Nimmt Célia und Adrien mit nach Riga. Als sie losfahren wollen, entdecke ich in unserer Minna nach einen Dankesgruß. Sie würden uns als Großeltern adoptieren. Wir sind gerührt! Daumen hoch! Sie werden uns fehlen…. Dann winkt uns Ulrike hinterher, wir sind wieder unterwegs.

Und kommen nicht sehr weit.

In Pavilosta, einem kleinen Ort voller verschlafener renovierter alter Holzhäuser und edlen Holzneubauten entdecken wir eine coole Strandbar und ein Hundeverbotsschild. Erst einen sehr leckeren Kaffee und weiter. Nach reichlichen Kilometern guter Piste finden wir einen schönen Strand in Skede vor Liepaja. Vorher sind wir von der Piste in einen kleinen Feldweg eingebogen und haben Tee an einem alten unbewohnten Holzhaus getrunken, das vor lauter vollen Apfelbäumen kaum zu sehen war.

Am Strand gehen wir die kleine Düne hoch, das Meer hat hier einen Kiesstrand. Hellblaue und grüne! Ich komme gar nicht mehr hoch vor lauter Schauen und packe mir die Hosentaschen voll. Namkha hat ein Stück Vierkantholz entdeckt, das sie nicht in die Schnauze bekommt, sie ist richtig sauer. Dann hat sie ihre Zähne über Eck in das Holz gehauen und trägt es im schnellen Trab hinter uns her. Das gibt starke Halsmuskeln. Alex wirft es ihr ins Wasser, sie hinterher und schiebt das schwimmende Stück an Land. Als wir zurückgehen, ist meine steinbeladene Hose so schwer, dass ich sie mit beiden Händen festhalten muss.

Am nächsten Tag regnet es. Namkha ist vor dem Frühstück zurück in eine große Wiese gerannt und gräbt. Wir fahren schließlich los, an der Wiese hupt Alex, der Kopf zuckt hoch und sie kommt angerannt. Tür auf, sie rein, nass, dreckig, glücklich! Wir fahren durch Liepaja, Sowjetstyle pur, kaufen noch ein bisschen Suppe und Salat in Dosen ein und machen uns dann auf zur Grenze nach Litauen. Unterwegs treffen wir noch ein paar Schafe, ein fürsorgliche Ampel, die die Zeit bis zum Umschalten angibt – ich liebe sie, überall gibt’s sie nur nicht in Deutschland – und ein Schild, das nach Blankenfelde weist.

Lettland hat uns richtig gut gefallen! Wir sind gespannt auf Litauen!